Nach einem Kurzbesuch im vergangenen Jahr besuchen wir nun zunächst den nördlich von Belo Horizonte gelegenen Nationalpark Serra do Cipó, bevor wir nach drei weiteren Nächten weiter zum Kloster Caraça fahren werden.
Nach dreistündiger Fahrt beziehen wir dann doch recht erschöpft unser neues kurzweiliges Zuhause. Wir sind hier in etwa 1000 Höhenmetern in der Cerrado-Landschaft angekommen, dem nun dritten Biom auf unserer Exkursion. Praktisch vor unserer Haustüre liegt der 1984 gegründete National Park Serra do Cipó der eine Fläche von 33800 Hektar umfasst und der zum Schutz weiterer Arten auf etwa die doppelte Fläche erweitert werden soll. Die Verwaltung obliegt nun ICMBio und nicht wie einstmals IBAMA, ist aber nach wie vor in staatlicher Hand. Die IBAMA ist jedoch weiterhin die Exekutive gegen jegliche illegale Machenschaften innerhalb des Schutzgebietes.
Nach der so dringend benötigten Mütze voll Schlaf geht es am nächsten Morgen zu Fuß bergauf in Richtung Nationalpark. Mit dem Hintergrundwissen, nun eine Landschaft zu betreten, welche weltweit die größte Anzahl endemischer Arten aufweist sind die Spannung und die Vorfreude groß.
Die Gehölze sind von niedrigem Wuchs und oftmals findet man Epiphyten wie Bromelien, Orchideen und Kakteen auf ihnen. Diese offene Savannenlandschaft weist eine Vielzahl unterschiedlicher Grasarten auf, und doch sind zwischenzeitlich nicht mehr alle einheimisch. Urochloa decumbens beispielsweise wurde aus Afrika eingeführt, mit der Absicht die Qualität der Rinderweiden zu verbessern. ICMBio unterstützt nun die Bemühungen, den Bestand zu reduzieren, jedoch erscheint dies aus unserer Sicht wie der Kampf von David gegen Goliath. Der übrigens auch in Caraça vorkommende invasive Neophyt ist weit verbreitet und immer noch auf dem Vormarsch.
Unter den verschiedenen den Park gefährdenden Problemen, sind die Rinder der Anwohner das größte. Sie grasen teilweise auch innerhalb des Parks, wo sie Trittschäden verursachen und die Pflanzen verbeißen. Andere Probleme, wie Feuer durch Brandstiftung in der episodisch trockenen Vegetation und Kristall-Schürfer beeinträchtigen ebenfalls den Naturschutz.
Da wir aus organisatorischen Gründen erst um 8:30 die Türe hinter uns schließen ist die morgendliche Aktivitätsphase der Vögel leider schon fast zu Ende. Dafür kommen die Herpetologen und Entomologen sowie natürlich die Botaniker unter uns auf ihre vollen Kosten. Bereits zu Beginn unserer Wanderung finden wir eine tote Schlange mit einem ähnlichen Muster wir die giftige Korallenschlange, und nur 10 Minuten später huscht im hohen Gras am Wegesrand eine nicht zu identifizierende Art davon.
In der Mittagshitze, bei gefühlten 50 C° im Schatten, den es hier aber faktisch kaum gibt, brennt die Haut und das Hirn kocht, und so ist nach 10 km Marsch und einer kleinen Kletterpartie ein Bad im Wasserfall Cachoeira de Farofa eine willkommene Abkühlung. Ausgerüstet mit Taucherbrille findet man kleine Welsartige (Silurifomes) im Becken des Falls. Nach dieser dringend nötigen Ruhepause geht es nun auf demselben Weg zurück, zugegebenermaßen nicht ohne letztendlich den einen oder anderen Sonnenstich, Sonnenbrand oder andere Maladien, aber wir sind ja schließlich BiologInnen bei der Arbeit!
Das private Schutzgebiet RPPN AVES GERAIS
Am 03.03. fahren wir in das gerade außerhalb des Nationalparks gelegenen private Schutzgebiet RPPN AVES GERAIS. Die Besitzer, das Ehepaar Lucas und Luciene Carrara, sind Freunde von unserem derzeitigen Guide Lucas Coelho. Die beiden sind Biologen und haben ihr 3 ha großes Grundstück als RPPN anerkennen lassen. Um ihr Projekt zu finanzieren, arbeiten sie hauptsächlich als Gutachter für andere Schutzgebietsbesitzer.
Das Haus von Lucas und Luciene liegt auf 1300 Metern Höhe mitten in ihrem privaten Schutzgebiet. Zwei Mal im Monat fangen und beringen sie Vögel aus der direkten Umgebung. Dabei stellen sie in verschiedenen Höhen Japannetze auf. Japannetze sind feinmaschige Netze (ca. 2 cm Maschendurchmesser), die senkrecht aufgehängt werden und bis zu 10 Meter lang und 2,5 Meter hoch sind. Die Vögel fliegen hinein und verfangen sich. Damit die Vögel nicht zu lange leiden müssen, werden die Netze stündlich von den beiden Biologen kontrolliert. Wenn ein Vogel im Netz ist, wird er vorsichtig aus dem Netz entfernt und in einen kleinen Stoffsack gesetzt. In der Station wird er dann vermessen, dokumentiert und gegebenenfalls beringt. Das Beringen ist wichtig, um genaue Daten über ein Individuum bzw. eine Population zu bekommen. Beim ersten Beringen bekommt der Vogel einen silberfarbenen Metallring mit einer Nummer angelegt, zum Beispiel E35275. Wird dasselbe Tier aber ein zweites Mal gefangen, so bekommt es zudem noch einen zweiten farbigen Ring, der dazu dient das Individuum einer Art auch mit dem Fernglas schnell wieder zu erkennen. Die Ringe sind verschieden groß, sodass für jedes Individuum und jede Art der passende angelegt werden kann. Für die Kolibris müssen die Ringe sogar zugeschnitten werden und für Papageien gibt es extra stabile Ringe, damit diese sie nicht aufknacken. Die Metallringe werden von der Zentralen Beringungsorganisation Brasiliens CEMAVE gratis vergeben. Die farbigen Ringe hingegen müssen die beiden Biologen selbst finanzieren.
Bei der Dokumentation geht man immer nach demselben Schema vor. In ein vorgedrucktes Formular werden erst Datum, Zeit, Netznummer (also Fundort) und Kartierer aufgeschrieben. Der Vogel wird samt Transportbeutel gewogen und dann der Beutel allein. Dann wird die Art ermittelt, auf Ringe untersucht und gegebenenfalls beringt. Die Nummer des Rings und die gemessenen Werte von Schwanz-, Flügel-, Bein- und Schnabellänge werden ermittelt und ebenfalls in das Formular eingetragen. Zudem wird das Gefieder nach Mauserungsvorgängen (Gefiederneubildung) und nach Brutflecken untersucht. Wenn Brutzeit ist kann man über den Brutfleck (eine aufgeschwemmte, federlose und mit Adern überzogene Stelle am Bauch des Weibchens) bei manchen Arten ermitteln, ob es ein Männchen oder ein Weibchen ist. Eine andere Methode wäre eine Blutprobe zu nehmen und so die Chromosomenpaare zu ermitteln. Bemerkenswert dabei ist, dass die Aufteilung der Chromosomen bei den Vögeln genau andersherum ist als bei den Menschen. Hier haben die Weibchen je ein X- und ein Y-Chromosom und die Männchen zwei X-Chromosom. Durch die Erhebung der Körpermaße können mit Hilfe von Statistikprogrammen sogar kryptische (also durch äußerliche Merkmale eigentlich nicht bestimmbare) Arten einander zugeordnet werden.
Da momentan weder Trocken- noch Brutzeit (wo die Flugaktivitäten größer sind) ist, gingen während unserer Anwesenheit leider nur 3 Individuen ins Netz. Darunter waren zwei Individuen der Familie Tyrannidae (lat. Mionectes rufiventris, engl. Gray-hooded Flycatcher) und ein Kolibri. In dem privaten Schutzgebiet kommen zwei Arten von Kolibris vor. Wir durften den Phaethornis eurynome (engl. Scale-throated Hermit) vermessen, beringen und frei lassen.
Eine Reise in die gefühlte Vorzeit
Auf Vermittlung von Lucas und Luciene können wir eine kurze Wanderung in den Nationalpark unternehmen. Für das Betreten braucht man üblicherweise eine offizielle Genehmigung, die wir nun so auf dem kleinen Dienstweg erhalten haben, weil die beiden der Behörde sehr gut bekannt sind.
Die Wanderung führt uns durch eine sehr arten- und an Endemiten reiche Vegetation aus Eriocaulaceae, Bromeliaceae, Orchidaceae, Cactaceae und Vertretern aus vielen anderen Familien bis zu einer Stelle, an der mächtige Vellozia gigantea-„Bäume“ wachsen, die teilweise 800 bis 1000 Jahre alt sein sollen.
Die Familie Velloziaceae ist in den Tropen und Subtropen mit zehn Gattungen und rund 240 Arten verbreitet. Wir sind von den zahlreichen blühende Arten aus den artenreichen Gattungen Vellozia und Barbacenia überwältigt, haben aber leider zuwenig Zeit, sie an Ort und Stelle zu bestimmen.
Eine ähnliche Vielfalt finden wir bei den Eriocaulaceae, von denen in Brasilien 9 Gattungen mit ca. 700 Arten vorkommen.
Die Familie Bromeliaceae ist bis auf eine afrikanische Art auf die Tropen und Subtropen der neuen Welt beschränkt. Es sind 56 Gattungen mit 3086 Arten bekannt. In Brasilien gelten nach dem atlantischen Küstenregenwald die Campos rupestres von Minas Gerais und Bahia als die Ökosysteme mit der höchsten Bromelien- Diversität und Abundanz.
Wir konnten im Nationalpark ein paar bemerkenswerte Arten finden, die hauptsächlich terrestrisch und saxicol (auf Fels), aber auch epiphytisch auf Vellozia gigantea wuchsen.
Racinaea spec. (links), Alcantarea spec. (rechts)
Neoregelia bahiana (links), Dyckia spec. (rechts)
Encholirium spec.
Am Nachmittag besuchten wir wie im letzten Jahr eine Auffangstation für beschlagnahmte Vögel auf einer Fazenda, wohin Lucas auch seltene Pflanzen umpflanzt, die er vor Baumaßnahmen und sonstigen Eingriffen in der Umgebung rettet. So gelang es ihm auch, in einer aufwendigen Aktion (ausgraben mit schwerem Gerät, Transport mit Spezialfahrzeug) vier Macauba-Palmen (Acrocomia aculeata), die ansonsten einem Straßenbau zum Opfer gefallen wären, vor das Eingangstor dieser Fazenda zu pflanzen.
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