Nachdem wir im Pantanal eine Woche lang uns weder richtig waschen noch gemütlich schlafen konnten, waren die heißen Duschen und unglaublich weichen Betten in unserer vorrübergehenden neuen Heimat eine wahre Wohltat für unsere geschundenen, zerstochenen Körper und schmerzenden Rücken. Es ist nicht vorstellbar, wie luxuriös es einem erscheinen kann, sich schlicht und einfach jederzeit die Hände waschen zu können, oder wie schön die Entspannung auf dem stillen Örtchen ist, wenn nicht dauernd Moskitos um einen herumsurren und man sich nicht ständig vor Vogelspinnen und giftigen Schlangen in Acht nehmen muss!
Wie immer quälten wir uns morgens um 5 Uhr aus den herrlich gemütlichen Betten, doch beim Anblick des liebevoll von Tante Nelly hergerichteten Frühstücks, das aus viel Obst und frisch gebackenen Leckereien bestand, starteten wir motiviert in den Tag.
Um 6 Uhr fuhren wir mit dem Bus los, mit dem Ziel den beiden BiologInnen Lucas Aguiar Carrara und Luciene Carrara P. Faria bei der Arbeit zuzuschauen. Während wir aus den Fenstern schauten, beobachteten wir unsere neue Umgebung, die sich von allem bisher Gesehenen unterschied. Der Gebirgszug Serra do Cipó stellt eine biogeographische Barriere zwischen dem Cerrado, der Savannen-Vegetationsform, und der Mata Atlântica, dem atlantischen Regenwald, dar. Wir fuhren von ca. 800 Höhenmetern auf 1300 m den Berg hinauf in den Nebel hinein und konnten währenddessen die verschiedenen Vegetationstypen betrachten. Je nach Gesteinstyp und somit Nährstoffgehalt des Bodens wechselten sich karge Strauchlandschaften und kleine Wälder ab.
Oben angekommen begrüßten uns Lucas und Luciene. Die beiden OrnithologInnen haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Vögel ihres 3 ha großen privaten Naturschutzgebietes (RPPN Aves Gerais) in Morro do Pilar zu identifizieren und Daten über diese zu erheben. Hierfür spannen sie meistens einmal pro Monat früh morgens an mehreren Stellen im anliegenden Wald Japan-Netze auf. Dies sind sehr feine, grobmaschige Netze, welche von Vögeln nicht gesehen werden können. Die Netze müssen nach Sonnenaufgang stündlich bis 11 Uhr vormittags kontrolliert werden. An diesem Tag durften wir die beiden bei den Kontrollen der Netze begleiten.
Im Laufe des Vormittags entdeckten wir drei Individuen verschiedener Vogelarten, die vorsichtig aus den Netzen befreit und zum Haus gebracht wurden. Hier wurden die Vögel gewogen, vermessen, bestimmt und beringt, um bei einem Wiederfang die Vögel identifizieren zu können.
Um unnötigen Stress zu vermeiden, wurden die Vögel sofort danach wieder freigelassen.
Gefunden wurden an diesem Tag ein Männchen der Art Thalurania glaucops, eines der Art Haplospiza unicolor und eines der Art Drymophila ochropyga. Besonders aufregend war der Fund von Drymophila ochropyga, eine vom Aussterben bedrohte Vogelart, die an diesem Tag erst das zweite Mal seit 2008 gefangen wurde.
In den letzten 5 Jahren beringten die beiden BiologInnen auf die oben beschriebene Weise 665 Vögel, von denen etwa 20% wiedergefangen wurden. Diese Vögel gehörten zu 239 verschiedenen Arten, von denen 47 Arten endemisch für diese Gegend sind, d.h. nur hier vorkommen, und 13 bereits vom Aussterben bedroht sind (Liste 2011).
Nachtrag 13. März: Lucas und Lucienne berichten von der 240. in dem RPPN Aves Gerais nachgewiesenen Vogelart:
„Realizamos o segundo dia de amostragem de aves na RPPN e gostaríamos de compartilhar com vocês a captura de uma nova espécie para a listagem: a choquinha-lisa Dysithamnus mentalis. Já havíamos registrado a espécie nos arredores a 800m de altitude, mas foi a primeira vez que alcançou a RPPN (1300m). Era um jovem macho, provavelmente em busca de novos terrirórios. Agora são 240 espécies na RPPN Aves Gerais! Anexamos uma foto. Reparem que as coberteiras superiores da asa ainda não estão totalmente escuras como no macho adulto.“
Bei der Gelegenheit sei auf xeno-canto, eine hervorragende homepage mit Vogelstimmen hingewiesen!
Außer diesen Vögeln wurde in einer Lebendfalle ein kleines Opossum (Marmosops incanus) gefangen, das großes Entzücken hervorrief.
Die Serra do Cipó ist übrigens eins der Gebiete, wenn nicht das Gebiet mit den meisten endemischen Tier- und Pflanzenarten der Welt!
Nach einem ausgiebigen Mittagessen starteten wir bei nun bestem Wetter eine Wanderung durch die erstaunliche, fremdartige Landschaft der anderen Straßenseite. Wir erklommen einen kleinen Hügel, der über und über mit seltsam anmutenden, blasslila blühenden Individuen der Gattung Vellozia (Velloziaceae) bewachsen war.
Wir entdeckten die „abgefahrendste Heuschrecke ever!“, eine 6cm große, kunterbunte, wie von einem anderen Planeten stammende Heuschrecke, die wir bisher leider noch nicht bestimmt haben.
Lucas entdeckte ein panaschiertes Exemplar der Vellozia-Art:
Wir genossen die weite Aussicht über die unberührte Landschaft aus grünen Hügeln und Bergen.
Gruppenfoto im RPPN Aves Gerais
Anschließend fuhren wir eine kurze Strecke zu dem ausschließlich mit einer Extragenehmigung zugänglichen Nationalpark Serra do Cipó. Die Landschaft war so surreal, dass wir uns in die raue Vorzeit versetzt fühlten – wir hätten uns nicht gewundert, wären plötzlich rieisge Dinosaurier neben uns herumgestapft. Die Pflanzen hier hatten überdimensionale und andersartige Proportionen. Die BotanikerInnen unter uns blühten auf bzw. drehten durch, entdeckten „putzige“ Gräser oder standen beim Anblick der seltenen, endemischen Pflanzenarten kurz vor einem Herzstillstand.
Ziel dieser Wanderung war ein Wäldchen mächtiger, uralter Vellozia gigantea-„Bäume“, die zwischen großen Felsblöcken wuchsen. Wir kletterten über Felsbrocken, während die Sonne auf uns herunterbrannte.
Durch seinen charakteristischen Gesang entdeckten wir den hier endemischen Grünmasken- oder Schildkolibri, Augastes scutatus. Dank dessen Standortstreue konnten wir ihn relativ lange auf einem nahe gelegenen Ast beobachten. Sein glänzendes grünes Federkleid mit dem weißem Brustband rief unter den ornithologisch Begeisterten unter uns großes Entzücken hervor.
In der nahe gelegenen Auffangstation für beschlagnahmte Vögel konnten wir noch zahlreiche Papageienarten aus der Nähe betrachten.
Lea Böttinger und Michaela Maucher
Read Full Post »